Liebe Aktivist*innen,
Wir sind heute hier versammelt um gemeinsam unseren Brüdern und Schwestern zu gedenken, die bei der Überquerung des Meers und auf der Suche nach einem besseren Leben ums Leben gekommen sind. Wir sind hier, um diese unbekannten Migrant*innen zu ehren, deren Familien noch auf ihre triumphale Rückkehr warten ohne zu wissen, dass sie schon längst ertrunken sind. Ja, wie viele Mütter, Väter, Söhne, Töchter, Ehemänner und Ehefrauen, warten auf die Rückkehr ihrer Söhne, Töchter, Väter, Ehefrauen oder Ehemänner. Wie viele hoffen jedes mal, wenn das Telefon klingelt, dass es sich um ein*e Angehörige handelt. Dass es der Anruf ist, der das Leid lindert. Wie viele wurden enttäuscht, als sie den Anruf bekommen haben, der ihnen mitteilte, dass ihr geliebter Mensch nie wieder zurückkommen würde. Dass er oder sie auf der Suche gestorben ist, beim mutigen oder feigen Versuch den Wassern gegenüberzutreten, die vor ihm oder ihr lagen. Und dieses Gewässer ist das Mittelmeer, ein wahrer Friedhof für Migrant*innen. Statistiken sprechen von mehr als 10 000 Migrant*innen, die seit 2014 im Meer gestorben sind. 2014 waren es 3500 Tote, im letzten Jahr 3771, dazu kommen 2814 Todesfälle seit Anfang 2016, – so eine genaue Angabe des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen. Wie wird es 2017 aussehen?
Wird sich das Mittelmeer eines Tages an Migrant*innen satt gegessen haben? Werden Europa und Nordamerika eines Tages müde werden, dem Meer Migrant*innen anzubieten unter dem Vorwand, dass diese eine Gefahr darstellen ? Die erschreckenden Unglücksfälle im Mittelmeer der letzten Monate sind nichts Außergewöhnliches mehr, denn seit langem sehen wir die gleichen Bilder. Doch was tun wir ? Und was tun unsere Regierungen ? Die hiesigen als auch die in Asien und Afrika ? Sie bedienen sich der Toten um auf Stimmenfang zu gehen.
Sie nutzen sie, um ihre Politk zu stützen, haben aber nicht das Ziel den Schiffbrüchigen zu Hilfe zu kommen. Wäre das der Fall, dann würden wir nicht mehr vom Verschwinden im Meer hören
Doch eines Tages werden die Seelen ohne Bestattung Gerechtigkeit fordern. Und das Meer wird all das Blut der Glücksuchenden vor den Toren des Okzidents ausspucken, das es getrunken hat. Es wird all die Elenden wieder erbrechen, die es verschlungen hat. All die Ängste, die es aufgesogen hat. Es wird Europa das zurückgeben, was Europa schon lange hätte annehmen sollen. Die Leichen der Kinder, die vor den russischen und us-amerikanischen Bombem in Aleppo in Syrien flohen. Die Tränen der Frauen, die vor der sexuellen Gewalt im Sudan geflohen sind. Die erstickten Schreie der Männer und Frauen, die vor der Gewalt von Boko Haram geflohen sind. Es wird Europa die leeren und unerhörten Seelen bringen, die ohne Rast mit ihren Familien vor der Korruption der multinationalen Konzerne geflohen sind. Ja, es wird die armen Dorfbewohner zurückbringen, die gezwungen wurden ihre Dörfer zu verlassen, und zwar von afrikanischen Unternehmen, die von deutschen Banken finanziert wurden, oder chinesischen und australischen kapitalistischen Großkonzernen. Um den Frieden zu suchen, um sich vom Schrecken der Kriege zu entfernen, um dem Hunger zu entkommen, deshalb wollten die Migrant*innen das Meer überqueren. Aber das Meer war voller Gewalt und hat ihre Reisen jäh unterbrochen.
Wir sind heute gekommen, um daran zu erinnern, dass unter den Tausenden Toten des Mittelmeers auch einige der Gesichter sein könnten, die hier sind und mich anschauen. Wir sind nicht hier in Europa, weil wir es mehr verdienen als unsere toten Brüder und Schwestern. Wir Afrikaner*innen und Asiat*innen sind nicht unter euch, weil wir stärker sind. Wir sind hier, weil wir ein kleines bisschen Glück hatten. Doch dieses bisschen Glück verpflichtet uns dazu, von den Leichen zu berichten, die das Meer behalten hat. Die Verpflichtung der Welt gegenüber zu sagen, dass wir uns auf der anderen Seite der Welt auch Hoffnung wünschen. Dass wir alle Räder in Bewegung setzen müssen, damit die Menschen nicht mehr sterben, weil sie Brot, Freiheit oder Frieden wollen. Denn dies sind Dinge, die alle Menschen haben sollten. Wir sind hier, damit die Leute hier wissen, dass unsere Brüder und Schwestern für nichts gestorben sind. Dass sie Opfer von Kriegen sind, die die großen Mächte führen, um die Energiezufuhr zu sichern. Um an Öl, Gas, Diamanten und was auch immer zu gelangen. Wir sind hier, um zu sagen, dass es die Unschuldigen sind, die die Regierungen opfern, um an der Macht zu bleiben. Omar el Bechir im Sudan. Bashar al Assad in Syrien. Die Opfer des Krieges verstehen nichts von den Kriegen. Wie soll man auch verstehen, dass man eines Tages aufsteht und alles aufgeben muss, weil ein Mann oder ein paar Mächtige entschieden haben, dass es Krieg in einem Land zu führen gilt. Alles zu zerstören, nur um danach die eigene Firma mit dem Wiederaufbau zu beauftragen. Ein Wiederaufbau, bei dem die Steine auf die Knochen der Unschuldigen gesetzt werden, die durch französische, deutsche, russische, us-amerikanische, saudische,… Interessen verbrannt sind.
Ja, wir können nur verlieren in diesem nutzlosen und erbarmungslosen Krieg. Ein Meer, durstig nach Blut, gierig nach unschuldigen Seelen, tötet nur die Armen, die sich von den herzlosen Schleuser*innenn, die nur ihren Gewinn im Sinn haben, täuschen lassen. Einmal hier angelangt, endet das Trauma nicht, das sie durchleben mussten. Die nasse Wüste, die sie hinter sich gelassen haben, ist manchmal nichts im Vergleich zum Leben voller Stress, das sie hier erwartet… Wofür all das ?
Liebe Aktivist*innen, es ist höchste Zeit, dass all das aufhört. Dass die Toten des Mittelmeers, derer wir heute gedenken, die Toten der Sahara oder von anderswo nicht nur eine Zeile in einem Zeitungsartikel bleiben, sondern ein Ereignis, das sich in unser Gedächtinis einprägt. Es ist Zeit für uns zu realisieren, dass in jedem Glas Wasser, das wir trinken, die ungelöste Träne von Migrant*innen steckt. Die Träne, die die Seele vergossen hat und dann langsam gen Europa pustet, um die Flüsse Europas anschwellen zu lassen. Ja , in jedem Glas Wasser ist vielleicht diese Träne eines*einer Migrant*in, der*die auf der Flucht vor dem Tod oder auf der Suche nach einem besseren Leben gestorben ist,
Lasst uns von nun an bei jedem Glas Wasser an die Menschen denken, die nicht mehr trinken werden. Lasst uns die verschwundenen und ertrunkenen Migrant*innen erinnern. Lasst uns erinnern, dass in jedem Glas Wasser die unschuldige Träne schwimmt, die auch von uns hätten vergossen werden können.
Ich danke euch.